Sonntag, 14. Oktober 2012

Produktionsnotizen


Der Spalt

Wenn unsere Figur zwischen den Kulturen lebt, heisst das nicht, dass sie keine Kultur hat. Es heisst nur, dass es Etwas gibt, das sie an Beiden irritiert. Weder das Deutsche, noch das Türkische können ihr genügend Halt geben. Dabei muss sich nichts Dramatisches ereignet haben. Es reicht der Eindruck, das ihr etwas fehlt. Man muss sich dieses Dazwischen wie ein Fass ohne Boden vorstellen. Je mehr sie es füllen will, umso weniger schafft sie es. Ein Teufelskreis beginnt. Dieser Spalt ist anfangs vielleicht nur ein Blick, eine kleine Bemerkung. Aber diese Irritation wächst und wächst. Ihr Spalt verwandelt sich in eine Furche. Die wird zu einer Wunde, daraus klafft ein Riss, der Riss frisst sich zu einem Tal, das Tal zu einer Klippe. Je tiefer sie in diesen Strudel gerät, umso heftiger nimmt sie dieses Dazwischen wahr. Und umso weniger sie beide Enden in sich vereinen kann, umso eher muss sie ihr Gewissen beruhigen. Weil sie sich ohnmächtig fühlt. Bis ihre Angst betäubt ist. Bis sie am Ende nichts mehr spürt. Nur noch, dass es in diesem unendlichen Dazwischen kein Halten gibt.  
Diese Irrwege kennt jeder von uns. Weil wir meinen etwas würde uns fehlen, begeben wir uns auf die Suche. Dabei gehen wir aufs Ganze und machen die gröbsten Fehler. Adam beisst in den Apfel. Rotkäppchen folgt dem Wolf. Das Kind fasst auf die heisse Herdplatte. Die Liste ist unendlich. Wieviele Leute beispielsweise denken, dass sie hässlich seien oder nicht liebenswert. Sie würden alles tun, nur um ein bisschen aktzeptiert zu werden. Diäten, Moden, Einsichten und Einstellungen. Sabiha ist darum keine Ausnahme. Ihr Fall ist nicht pathologisch. Eher alltäglich. Es geht uns, Hand aufs Herz, doch allen so. Es gibt in uns Unsicherheiten, die uns sehr verwundbar machen. Und nicht nur Unsicherheiten. Auch die Liebe macht blind.
Uns beschäftigt, wenn wir auf den Proben sind, kein Sonderling. Was uns umtreibt ist daher auch nicht das Unmögliche. Wir wollen wissen, wie man Brücken baut. Kleine Schritte. Was Sabiha lernt ist schnell gesagt. Sie lernt zu sprechen.
Aber das ist schneller gesagt als getan. Sabiha macht den Boden wieder gut. Sie füllt den Spalt auf, ehe sie darin verschwindet. Dieser Schritt gelingt ihr einmal besser, einmal schlechter. Trotzdem: Das ist ein Anfang. Den Rest sollten wir mit uns selbst ausmachen.