Mittwoch, 26. September 2012


26.9.2012

Notizen aus der Produktion

Das Gegengewicht zum Schweigen ist das Sprechen.
In unserem Monolog ist der Wandel unserer Protagonistin Sabiha, ihr Konflikt, ihr Potential, alles an die Sprache gebunden. Die Sprache und das Sprechen, sind Ausdruck ihrer Freiheit, ihrer Fähigkeit zu denken, zu fühlen, zu lieben, zu verzeihen, zu verstehen. Nicht dass sie sprachlos wäre, Sabiha ist kein Kaspar Hauser. Aber innerlich hat sie, durch das Schweigen ihrer Mutter, durch die verschleppte Vergangenheit, durch die fehlende Aufarbeitung ihre Geschichte, in das Opfer wie Täter eingebunden sind, doch so etwas erlebt, wie Kaspar Hauser. Sie ist, wie viele Nachfolgegenerationen mit unbewältigten Gewalterfahrungen, in einem Trauma gefangen. Ganz egal ob Opfer oder Täter. Diese Ereignisse hinterlegen ihre Spuren. Unbewusst, ohne Sprache, sie verändern unverarbeitet unsere Art der Wahrnehmung, des Handelns, des Fühlens. Und je länger diese schmerzvollen Erfahrungen andauern, umso tiefer dringen sie in unser Unterbewusstsein vor und prägen uns.
Soviel zu unseren Grundlagen. Sabiha lernt in dieser Arbeit ihre Sprache kennen. Sie lernt von einem Satz zum Anderen. So kriegt sie ein Bewusstsein. Daran arbeiten wir. Die Sprache von Sabiha, die zunächst zu einem Extrem neigt, öffnet sich. Wir zeigen wie sich öffnet und dass es möglich ist, sich zu öffnen. Ohne Vorbedingung, ohne grundsätzliche Hilfsmittel. Die Öffnung heisst aber nicht, dass sie ein Happy-End findet. Wozu auch? Aber es bedeutet, dass Sabiha in ihrem Leben angekommen ist. Dass sie dort weitermachen kann, wo sie die Geschichte 1916 unterbrochen hat. Wo sie ankommt, ist ihre Sache. Heiner Müller sagt dazu: "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen". Sabiha wird daher in unserer Arbeit, durch das Entdecken, das Einsehen und Aussprechen ihrer Geschichte, ein zweites Mal geboren. Sie taucht ein zweites Mal in der Geschichte auf.



25.9.2012

Notizen aus der Produktion

Einer der wichtigsten Begriffe dieser Produktion und daher auch der zentrale Ausgangspunkt unserer
Auseinandersetzung mit dem Stück, ist das Schweigen.
Wir haben uns gefragt wann man schweigt. Wie dieses Schweigen aussieht und was es mit einem selber macht.
Jede/r kennt dieses Gefühl. Wenn man etwas nicht sagt, wenn man es verschweigt, wenn man etwas weiss und schweigt. Wenn man sich auf die Zunge beisst und innerlich fast ein Lügner wird.
Man weiss zu viel und sagt zu wenig. Ein Wettlauf gegen das eigene Gewissen beginnt.
Verdrängen, beschuldigen, ablenken, ausweichen lauter kleine und grosse Manöver fängt man an.
Aus der Mücke wird ein Elefant. Am Ende lebt man in einem Konstrukt von Widersprüchen und
kommt nicht mehr aus diesem heraus. Das Schweigen bleibt. Es hinterlässt Tag für Tag Spuren.
In der Art wie wir uns anschauen, wie wir andere sehen, wie wir sprechen, uns bewegen. Das Schweigen wird zum ständigen Begleiter, zu einem zweiten Ich. Jeder Atemzug wird schwer. Sehr schwer. Und am Ende ist der Tod eine Erlösung. Eine weitere Flucht vor sich selber, vor dem, was man im Innersten, im Herzen schon die ganze Zeit gewusst hat. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar sagt Ingeborg Bachmann. Heute und die Tage zuvor waren wir auf der Bühne sehr damit beschäftigt, diesem stillen Raum einen Körper zu geben. Die Schauspielerin Bea Ehlers-Kerbekian versucht nebst ihrer Aufgabe ihre Geschichte zu erzählen, auch immer das zu erzählen, was
nicht in Worten da steht. Sie gibt in vielen kleinen und grossen Momenten jener unheimlichen Stille eine Gegenwart, die ganze Generationen an sich gefesselt hat. Darauf liegt unser Augenmerk. Zum einen die Worte, zum anderen das Schweigen zu finden. Das Eine wollen wir nicht lauter als das Andere machen. Damit zwischen den Gegensätzen eine Auseinandersetzung möglich wird.